Bassklarinette von Totalbrass

Seit einiger Zeit (April 2012) benutze ich eine chinesische Bassklarinette, die ich bei Totalbrass in Köln gekauft habe. Diese Firma importiert und vertreibt die bekannten Eastman-Instrumente; auf der Bassklarinette selbst gibt es keinen Markennamen.

Das Instrument kostet etwa 900€ und ist damit unglaublich preisgünstig.

Zunächst zu den Minuspunkten:

1. Das Mundstück ist unbenutzbar; das liegt daran, dass das Fenster an der Mundstückspitze zu breit ist und das Blatt dort selbst bei sorgfältigster Montage kaum auf den Kanten aufliegt (0,1mm ist zuwenig). Man ruiniert sich also auch noch im Handumdrehen seine Blätter. Das heißt natürlich, dass man zum Kaufpreis die Kosten eines gescheiten Mundstücks (plus Schraube) hinzuzählen muss, in meinem Fall etwa 170€. (Dieser Fehler ließe sich wirklich leicht beheben).

Auch die Blattschraube ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie man etwas sehr Einfaches so kopiert, dass es nicht funktionieren kann: drei Metallbrücken sollen das Blatt auf dem Mundstück fixieren, aber nur die mittlere tut das wirklich; das Blatt hat hinten und vorne keinen festen Halt auf dem Tisch, kann aber auch nicht richtig schwingen: es muss also quietschen (Allerdings ist der kritische Konsument dann wirklich perplex, dass Vandoren zu seinem Mundstück eine Schraube liefert, die durch die "ingeniöse" Konstruktion schlicht einen Ticken zu groß ist).

2. Der Es/B-Seitenhebel rechts sitzt so tief, dass man ihn bei jeder Bewegung der rechten Hand unabsichtlich betätigt. Da er sehr großzügig dimensioniert ist, habe ich ihn 5 mm(!) herruntergefeilt.

3. Der Gurt ist eine Gefahr für das Instrument (und das ist leider keine Seltenheit). Der Haken ist geradezu zierlich, und der Verschluss schließt leider nicht - es ist nur eine Frage der Zeit, dass das heißgeliebte Instrument zu Boden geht und eine teure Reparatur nötig wird. Die Herstellung eines gescheiten Hakenverschlusses kann eigentlich nicht teuer sein.

4. Der Koffer - denn der Reißverschluss ist nach einem halben Jahr nicht sehr intensiver Nutzung kaputt, und zwar genau an der Stelle, die mir beim allerersten Öffnen schon verdächtig vorkam: um die Ecke ist er besonders straff geführt - da wurde etwas zuviel Material eingespart.

Übrigens sind Klettverschlüsse eine nervtötende Angelegenheit, wenn sie  zu zahlreich und eigentlich überflüssig sind...

5. Die Töne im oberen Register, insbesondere von (notiert) F2 an aufwärts, sprechen schlecht an...  je nach Blatt sehr schlecht. Ein Piano zu spielen, ist dort nicht möglich (wenn man etliche Dutzend Stunden geübt hat, wird's besser).

Ich persönlich fände diesen ganzen Stellschraubenschnickschnack ja nicht so wichtig wie eine geteilte Überblasklappe, wie sie für Bassklarinetten eigentlich üblich ist.

Und leider sucht Totalbrass auch nicht das Feedback seiner Kunden - meinem Hinweis auf die Unbrauchbarkeit des Mundstückes wurde mit dem Hinweis auf den Preis begegnet.

 

   Davon abgesehen, bekommt man ein Instrument, das durchaus spielbar ist. Es stimmt ganz gut (bis etwa notiert F2, siehe oben), und klingt im unteren Register sehr glaubwürdig nach Bassklarinette, und kernig genug für einen glaubwürdigen Jazzsound (das wirkt jetzt vielleicht sarkastisch, aber es gibt durchaus billige Saxophone, die unglaubwürdig klingen...) - auf jeden Fall viel besser als das Demo auf der Totalbrass-Webseite, das einfach lächerlich ist (oder ganz vorsichtig mit dem Originalmundstück gespielt).  Ich spiele es mit einem Vandoren-Mundstück B45 (dessen Schraube eine diabolische Kleingkeit zu groß ist) und Rico-Royal-Blättern #3. (Ich habe gerade leihweise einen Tag lang ein Tuyama-Tenorsax im Unterricht benutzt, weil mein eigenes Tenor akut reparaturbedürftig war, und dieses Instrument ist wirklich übel - dagegen ist die Bassklarinette Gold wert!)

   Die Handhabung fühlt sich ähnlich an, wie wenn ich (Conn oder Yanagisawa gewohnt) mal ein Schülersaxophon in die Hände nehme: Es ist alles da, aber bewegt sich nicht in optimalen Winkeln zueinander - die Kleinfingerhebel sitzen etwas zu tief/zu flach/zu schräg/ zu weit auseinander, und federn zu stark nach, um wirklich komfortabel zu sein... Der F/C-Hebel links liegt so tief (d.h. unterhalb der Ebene der anderen Kleinfingerklappen), dass ich mir eine dicke Lage Kork darauf geklebt habe; und die langen Kleinfingerhebel links (E/H und Fis/Cis) habe ich beherzt 1-2mm nach innen gebogen (ich frage mich, warum die "Bedienungsfelder" für die kleinen Finger eigentlich eine größere Fläche einnehmen müssen als an einer normalen Klarinette - der einzige Effekt ist ein längerer Weg). Summa Summarum: Das Spielen ist durchaus Arbeit.

   Für Verblüffung sorgt die Vernickelung des Bechers: ich bin noch nie einer Oberfläche begegnet, an der jeder Spritzer, jeder Fingertaps so hartnäckig festsitzt, dass er sich nur mit Edelstahlpolitur entfernen lässt - der umgekehrte Lotuseffekt!

   Aber: Das Ding ist spielbar; es reicht dicke, um die eine oder andere Bigbandstimme zu spielen (wenn kein pianissimo verlangt ist, macht das sogar Spaß). Man sollte sich im Klaren sein, dass man für das kleine Geld kein Instrument nach europäischem (oder auch tawainesischem) Standard bekommt.

Die Aufnahme, die Sie hören, ist übrigens mit dem besprochenen Instrument gemacht.

 

P.S.: Im Mai 2014 habe ich mir eine "richtige" Bassklarinette angeschafft (Yamaha 622 II)